Der Weltuntergang des Professor Rössler

Folge 6 vom 08.08.2010


Inhalt:

    - Zwei Weltuntergänge
    - Eine Gebrauchsanweisung für Medien und

    - CERN, komplett mit Large Hadron Collider.


Am 15.9.2001 hatte Prof. Dr. Otto Rössler seinen Durchbruch geschafft. Nach bangem Warten und Zittern ist Rössler da, wo er, seiner Veranlagung wegen, immer schon hin gemusst hat: Im Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ erscheint unter demTitel „Tragische Gestalt“ der aufwändig inszenierte Feldzug des Professors für Chaostheorie gegen die Windmühlen der Universitätsbürokratie.

Rösslers Setting ist bewundernswert und man begreift die Sensibilität für das medial Größte gleichsam sofort: Ein schmächtiger, schon leicht ergrauter Mann hat sich vor das Portal der Universität Tübingen gesetzt. Nein nicht gesetzt, drapiert! Er trägt einen gelben Judenstern auf der Brust und die historische Fassade hinter sich hat er mit den Buchstaben „P U T“ beschmiert,was soviel bedeuten soll wie: „Pogrom Universität Tübingen“. (Siehe Foto)

Ja, Herr Rössler, so macht man Medien. Pathetisch, einfach und schlagend: Das muss sogar die desinteressierteste Hausfrau zu Tränen rühren. Man kann sich, soviel ist sicher, mediale Ästhetik nur schwer plakativer denken. Rössler ist über Nacht avanciert zum Richard Wagner unter den Physikern: Max Planck, Albert Einstein, Niels Bohr, Werner Heisenberg und Otto Rössler! So hätte es kommen müssen. So enden Episoden aus der Wissenschaft. Siesagen nicht viel über die Welt, in der wir leben.

Im Rahmen der Geschichte unserer Zivilisation gibt es aber Episoden, die, wenn auch weniger spektakulär, in ihrer Bedeutung viel aufschlussreicher sind. Episoden, die uns später einmal zeigen werden, wie das beginnende21. Jahrhundert funktioniert hat. Mehr noch, Geschichten, die uns erzählen werden, warum diese Zivilisation unterging. Zu den Schicksalen, die unbedingt erzählt werden müssen gehört das des Prof. Dr. Otto Rössler.

Vorab muss man vielleicht noch eines wissen: Mediale Aufmerksamkeit wirkt auf Menschen wie eine Droge. Wer es ins Rampenlicht schafft, der will es nicht mehr verlassen. Und wenn man nicht als Fußballspieler, sondern als Chaostheoretiker geboren ist, dann fällt das heute schwer. Das Problem kannte zum Beispiel Werner Heisenberg und er löste es 1968 durch die Publikation einer „Weltformel“, passenderweise in der Tageszeitung „Die Welt“.

Erschwerend für Otto Rössler: Die Spiegelausgabe des 15.09.2001 war zwar eine der meistverkauften Ausgaben des Nachrichtenmagazins, aber niemand nahm Notiz von Otto Rössler. Es gab nicht die geringste Reaktion: Keine Kollegen, die ihn darauf ansprachen, keine Freunde, Bekannten oder Studenten, die ihn beglückwünschten. Und niemand, der ihn attackierte. Einfach nichts! Tübingen blieb ungerührt. Die mühsam aufgebaute „tragische Gestalt“ ging unter, zwischen 21 Fotos von zwei einstürzenden Hochhäusern, nebst zugehörigen Grafiken und jeder Menge amerikanischen, wie arabischen Staubs. Genau, die Spiegelausgabe vom 15.09.2001 war jene globale Exklusivausgabe, die auf den 11.09.2001 folgte.

Und so bliebe Otto Rössler gar nicht weiter erwähnenswert, wenn er nicht ein hochintelligenter, lernfähiger Mensch wäre. Was er gelernt hatte? Weltuntergänge verkaufen sich selbst im universitären Umfeld besser als Judenmetaphorik. Das war vorher durchaus nicht so klargewesen, warf aber eine Frage auf: Wie kommt eigentlich ein Chaostheoretiker zu einem eigenen Weltuntergang? Und wer auch nur einen Moment lang in Betracht zieht, diese Frage mit einem „Gar nicht!“ zu beantworten, der ist in unserer Medienwelt nur noch nicht richtig angekommen.

Im Februar 2008 taucht zunächst im Internet (Networld, 8.2.2008) ein durchschlagend neues Gerücht auf: „Der Teilchenbeschleuniger am Schweizer Forschungsinstitut CERN“, so die Generalthese einiger Physiker: „Der Teilchenbeschleuniger produziert bei Inbetriebnahme Schwarze Löcher, die die Welt verschlucken werden.

Zwischen Juli und September desselben Jahres, unmittelbar vor der Einschaltung des goßen Teilchenbeschleunigers in der Schweiz kocht die Gerüchteküche dann über: „Am 30. August geht die Welt unter“ (Märkische Allgemeine Zeitung, 10.07.2008),  „Das jüngste Gerücht“ (Sueddeutsche Zeitung, 6.8.2008), „Wer hat Angst vorm Schwarzen Loch?“ (T-online, 11.7.2008). Es kommt zu einer Klage vorm Bundesverfassungsgericht und schließlich zur vielleicht schönsten aller Headlines, im Stern: "Schlüssige Beweise für den Weltuntergang fehlen!" (Stern, 9.3.2010) Kurz gesagt: Der Weltuntergang wird zur Topnachricht des Wissenschaftsjournalismus für mehrere Jahre. Und verantwortlich für den plötzlichen Wissenschaftsboom zeichnet  – genau! – Prof. Dr. Otto Rössler, der Physiker, der die Medien verstanden hatte.

Damit wären wir ganz allmählich am Ende der Geschichte angelangt. Es muss allerdings noch Zeit sein für einen kleinen Nachtrag, der selbstredend nichts, aber auch gar nichts mit dem medialen Erfolg des Prof. Rössler zu tun hat: Am 10. September 2008 kürt das Wissenschaftsmagazin „Science“ den „Large Hadron Collider“ zum Experiment des Jahres. Und das immerhin 18 Monate vor der Produktion der ersten Forschungsergebnisse! Gratulation!

Wo wir gerade dabei sind, kennen Sie noch Wolfgang Pauli? Wolfgang Pauli war auch Physiker, ein langjähriger Mitarbeiter von Werner Heisenberg sogar. Und als all die Reden von Heisenbergs „Physikalischer Weltformel“ auch nach Monaten noch nicht abgeklungen waren, schickte Wolfgang Pauli einen historischen Brief an die Redaktion der „Welt“. Er hatte freihändig ein Quadrat gezeichnet und dazugeschrieben:

„Das soll beweisen, dass ich wie Raffael malen kann. Es fehlen nur ein paar Einzelheiten.“

 

von Gerald Reuther.


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