Zivilisierungsversagen

Folge 11 vom 15.05.2012


Inhalt:

    - Douglas Adams
    - Maybrit Illner
    - und ein massenmedialer Menschenpark für Intellektuelle

   


Der Untergang ganzer Zivilisationen ist deshalb schwer zu beobachten, weil keiner weiß, wie sie aussehen. Was wäre da wohl zu sehen? Hinterher ist der Untergang ganz natürlich gewesen. Aber vorher? Wahrscheinlich gehen Zivilisationen gerade deshalb unter, weil keiner es vorhersieht.

Zugegeben, es mangelt nie an Weltuntergangspropheten. Apokalypsen aller Art gehören mehr oder weniger zum Kulturgut jeder Zivilisation.

Weltuntergänge und Zivilisationsverluste darf man aber keinesfalls verwechseln. Weltuntergänge haben eine ganz andere Dimension. Und sie behalten hinterher vor Allem den Vorteil, unerklärt zu bleiben. Auf eine simple, kosmische Supernova folgen keine Heerscharen spätgeborener Besserwisser, die hinterher alles schon vorher gewusst haben.

Würden Sie einen Weltuntergang eigentlich wirklich vorher sehen wollen?

Ich möchte fast meinen, das schaulustige Vorwegnehmen des Weltuntergangs wäre, ganz jenseits von Douglas Adams, eher eine illegitime Zuschauerposition. Beim Zivilisationsuntergang dagegen darf man ganz hemmungslos zusehen. Legitim ist das, weil seine rechtzeitige, akkurate Beschreibung auch im Nachhinein noch Wirkung zeitigen könnte. Man kann das auch einfacher auf den Punkt bringen: Den Untergang der eigenen Welt kann man vielleicht erleben, aber keinesfalls überleben. Zivilisationsuntergänge dagegen sind nicht einmal selten. Und man kann gegebenenfalls aus ihnen lernen.

Obwohl es beim Lernen immer zu Reibungsverlusten kommt. Insofern bin ich nicht mehr ganz sicher, ob Menschen überhaupt zur zivilisierten Spezies taugen. Sind Menschen eigentlich zivilisierbar? Menschen können Zivilisationen aufbauen. Und sie können Zivilisationen zerstören. Aber können sie darin leben?

Ich fürchte, beim Leben in einer Zivilisation gerät ihre Existenz zu sehr ins Selbstverständliche. Wir vergessen ganz gern, warum die Zivilisation eingeführt wurde, solange sie gerade noch funktioniert. Das Problem der Zivilisationen könnte mithin im Scheitern der Zivilisierung liegen. Zur Zivilisierung nämlich müsste man den eigenen Nachwuchs nicht nur funktional ausbilden, sondern auch darüber hinaus zähmen!

Explizite Menschenzähmung wiederum ist nicht erst seit den Bologna-Reformen gesellschaftlich schwer zu vermitteln.

So gesehen liegt Peter Sloterdijk moralisch nicht gar so weit daneben, wenn er pünktlich zur Jahrtausendwende (1999) fragt: Kann man Menschen eigentlich überhaupt zähmen? Und es ist dann gar keine Einschränkung seiner Zivilisierungsutopie, dass es den bürgerlich zivilisierten Feuilletonisten näher lag, bloß zu fragen, ob man es darf. Oder ob man solches fragen darf!

Andererseits kann es sein, dass gerade den Journalisten, die nur die Legitimationsfrage stellen wollten, die Selbstzähmung im Dienst der Gesellschaft einfach besser gelungen war. Darauf weist auch hin, dass dieselben Journalisten und Politiker, die Menschen im Allgemeinen lieber ungezähmt belassen, sie doch ganz gern zähmen würden, sobald sie "die Piraten" wählen. Vielleicht ist gar nicht die Züchtung verboten, sondern das Philosophieren darüber?

Damit endlich würden die Talkshows von "Maybritt Illner" und "Johannes B. Kerner" nicht nur verständlich, sondern ganz buchstäblich geadelt: „Damit ist gesagt, dass Menschlichkeit darin bestehe, zur Entwicklung der eigenen Natur die zähmenden Medien zu wählen und auf die enthemmenden zu verzichten.“ (Peter Sloterdijk)

Sehen sie? Sogar das "Philosophische Quartett" macht aus diesem Blickwinkel wieder Sinn: Es wäre ein massenmedialer Menschenpark für Intellektuelle. Und Peter Sloterdijk korrigiert damit eine marginale Inkonsequenz: Eine durchdachte Zähmungsphilosophie hätte nie versucht, sich den Menschen zu erklären, sondern einfach mit der Assimilation begonnen.

Gibt es am Ende vielleicht barbarische Zivilisationen? Oder schlimmer: zivilisierte?

 

von Gerald Reuther.


Zur Übersicht: Erinnerungen an die Zivilisation >>

Nächste Folge: Generation X, revisited... >>


Literatur:

Adams, Douglas: Das Restaurant am Ende des Universums. München. 1998.

Sloterdijk, Peter: Regeln für den Menschenpark. Frankfurt a.M. 1999.